Masterplan Medizinstudium 2020

Die Zukunft des Medizinstudiums

Am 31.3.2017 haben das Bundesminsterium für Gesundheit und das Bundesministerium für Bildung und Forschung den „Masterplan Medizinstudium 2020“ veröffentlicht.

Durch diese Maßnahmen soll das Medizinstudium reformiert werden und gleichzeitig drohende Probleme in der Ärzteversorgung in Deutschland gelöst werden.

Screenshot aus der Präsentation des Masterplans, Quelle: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2017/1-quartal/masterplan-medizinstudium-2020.html angegebene Bildquelle: BMG/Schinkel

Wir haben uns die Pressemitteilung und den „Masterplan“ selbst angesehen und fassen für euch das Wichtigste zusammen….

Kurz zusammengefasst: Was steht jetzt drin?

  • Quartalisierung des Praktischen Jahrs (PJ):
    • Vier Quartale á 12 Wochen, davon ein Quartal Innere in der Klinik, ein Quartal Chirurgie in der Klinik, zwei Wahl-Quartale, davon eins zwingend im ambulanten Bereich
  • Neuordnung der ärztlichen Prüfungen (Staatsexamina)
    • Erste schriftliche Prüfung nach vier Semestern (M1a)
    • Mündliche-praktische (ggf. OSCE) Prüfung nach sechs Semestern (M1b)
    • Zweite schriftliche Prüfung nach zehn Semestern (Mit Fokus auf Allgemeinmedizin) (M2)
    • Praktische Prüfung nach zwölf Semestern (M3): 1. Tag Prüfung am Krankenbett unter Supervision, 2. Tag OSCE und mündliches Prüfungsgespräch
      • M3 Fächervariante A: Du hast Allgemeinmedizin als PJ-Wahlfach gewählt, dann hast du in der M3-Prüfung Innere, Chirurgie, Allgemeinmedizin und dein viertes PJ-Wahlfach.
      • M3 Fächervariante B: Du hast zwei andere Wahlfächer gewählt, dann hast du Innere, Chirurgie, Allgemeinmedizin und per Los eins deiner beiden Wahlfächer.
  • Landarzt-Quote:
    • Bis zu 10% aller Studienplätze werden zukünftig an Bewerber vergeben, die sich dazu verpflichten, nach Studium und Weiterbildung zehn Jahre in unterversorgten ländlichen Regionen zu arbeiten
  • Keine Erhöhung der Studienplatzanzahl, dafür Streichung von Teilstudienplätzen
  • Geänderte Zulassungskriterien zum Studium:
    • Neben der Abiturnote müssen mindestens zwei weitere Auswahlkriterien zur Vergabe von Studienplätzen verwendet werden. U.a. sollen Motivation, Ausbildung in medizinnahen Berufen und Auswahlgespräche mit einfließen
  • Konsequente Förderung der Allgemeinmedizin
    • „Die Allgemeinmedizin muss im Studium den Stellenwert erhalten, der ihr auch in der Versorgung zukommt“
    • Einrichtung von allgemeinmedizinischen Lehrstühlen an allen Fakultäten

Was bedeutet das im Detail (inkl. unserer Kommentare)?

1. Kompetenzorientierte Ausbildung

Der routinierte Umgang mit wissenschaftlichen Konzepten, Methoden und Befunden soll schon während des Studiums vermittelt werden. Kommunikative Kompetenzen sollen weiter gefördert werden, außerdem soll die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit auch schon während des Studiums eine tragende Rolle spielen. Der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM) soll Grundlage für Approbationsordnung, Gegenstandskatalog des IMPPs und Curricula werden. Dieser soll aber erst noch durch eine Kommission aus „Experten“ weiterentwickelt werden. Mitarbeit von Studierenden wird hier an keiner Stelle erwähnt. Es wird darüber nachgedacht, die Anzahl der Leistungsnachweise zu reduzieren, im nächsten Punkt jedoch ein neuer für wissenschaftliche Kompetenzen vorgegeben. Erst während der Ausführungen „werden parallel die finanziellen und kapazitären Auswirkungen ermittelt.“  Neue (teure) Studienplätze werden vorerst nicht geschaffen, faktisch findet eine Streichung von Teilstudienplätzen statt.

Kommentar der Fachschaft zu diesen Maßnahmen

Orientierung an Wissenschaftlichkeit und kommunikativen Kompetenzen erfolgt in Düsseldorf bereits in größerem Rahmen als von der aktuellen Approbationsordnung vorgesehen. Der NKLM ist in den letzten Jahren entstanden und jede Fachgesellschaft hatte die Möglichkeit, alle in ihren Augen notwendigen Lernziele darin unterzubringen. Dies hat zu einem Katalog mit aktuell 346 (!) Seiten Inhalt geführt. Die hier beschriebene Weiterentwicklung wird hoffentlich Kondensation und Reduktion statt weiterer Aufblähung bedeuten. Im Masterplan wird die Reduktion von Redundanzen gefordert, diese sind beim aktuellen NKML jedoch eher Regel als Ausnahme. Unserer Ansicht nach sind die Studierenden die wirklichen Experten in Bezug auf das Studium und sollten in jeder Kommission vertreten sein – wie in Düsseldorf bspw. in der Lenkungsgruppe (Gremium zur Weiterentwicklung des Curriculums). Sowohl in der Konzeption als auch in der Ausführung des Masterplans wurden Studierendenvorschläge gänzlich ignoriert. Ein überladenes Studium wird hier noch weiter aufgebläht (weitere Punkte folgen). Große Teile des Plans stehen und fallen mit der unklaren Finanzierung. Diese erst im Verlauf des Plans zu klären, erscheint vollkommen hirnrissig. Die Erhöhung der Anzahl von Studienplätzen ist aus unserer Sicht zwingend notwendig.

2. Praxisnahe Ausbildung

Größere Verknüpfung von theoretischen und praktischen Inhalten ab dem 1. Semester werden vorgesehen. Teilstudienplätze werden abgeschafft. Jede Universität soll sich ein Netz aus Lehrpraxen aufbauen und in die Lehre einbeziehen.

Kommentar der Fachschaft zu diesen Maßnahmen

Für die praxisnahe Ausbildung hätten sicherlich mehr als zwei von 37 Punkten geopfert werden können. Einer der drei ursprünglichen Kernpunkte des Koalitionsvertrages wurde hier auf ihren wirklichen Wert beim Gesundheitsministerium reduziert. Für Düsseldorf selber sind durch diesen Punkt keine gravierenden Änderungen zu erwarten – wir haben deutschlandweit mit die meisten Lehrpraxen (auch wenn deren Qualität sicherlich stark variiert), es gibt keine Teilstudienplätze und durch den Modellstudiengang eine relativ hohe Verzahnung von Klinik und Vorklinik ab dem 1. Semester. Die im Text erwähnten “im Mittelpunkt der Ausbildung stehenden hochspezialisierten Fälle an den Universitätskliniken” sind sicherlich auch nicht durch unsere Behandlungsanlässe wie 064 Husten, 053 Ausfluss aus der Nase oder 110 Lokale Schwellung der Haut wirklich nachvollziehbar. Hier wird gegen die “Supramaximalversorger” (sic!) gehetzt und sicherlich eine Reform an der Praxis vorbei geträumt.

3. Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium

Einer der wichtigsten Punkte ist die Pflichtprüfung in Allgemeinmedizin als drittes Fach in der M3-Prüfung. Dies erfolgt unabhängig davon, ob man Allgemeinmedizin als PJ-Wahlfach belegt hat oder nicht. Das PJ wird in vier Quartale geteilt, wobei Innere und Chirurgie im klinischen Setting jeweils bleiben. Von den zwei Wahlfächern muss eins im ambulanten Rahmen abgeleistet werden, das andere ist frei wählbar. In der Prüfung gibt es jedoch bei Wahl von Allgemeinmedizin als PJ-Wahlfach den Vorteil, dass das andere Wahlfach direkt zum vierten Prüfungsfach wird, während sonst eins der beiden gewählten Wahlfächer neben Allgemeinmedizin zum Prüfungsfach wird. Die Allgemeinmedizin soll attraktiver und die Arbeitsbedingungen im PJ “besser” werden. Das Blockpraktikum bleibt bestehen, die zwingende Hausarztfamulatur bleibt weiterhin offen. Lehrstühle für Allgemeinmedizin sollen flächendeckend geschaffen werden. Hiervon verspricht man sich eine institutionalisierte Wissenschaftlichkeit in der Allgemeinmedizin, die auch die Anwendung von klinischen Studien innerhalb der Lehrpraxen einschließt.

Kommentar der Fachschaft zu diesen Maßnahmen

“Strategien zur Langzeitversorgung chronisch Kranker, der Umgang mit Multimorbidität , gesetzliche Früherkennungsuntersuchungen, Hausbesuche, Familienmedizin und die Versorgung in Alten- und Pflegeheimen können nur in der Allgemeinmedizin vermittelt werden.” Dieser Satz alleine ist ein Schlag ins Gesicht für alle anderen medizinischen Fachrichtungen außerhalb der Allgemeinmedizin. Diese unverfrorene Respektlosigkeit zeigt hier auch wieder, dass der Masterplan 2020 ein politisch gewolltes Instrument zur Rekrutierung von Wählerstimmen ist und keinesfalls etwas anderes als die erzwungene Sicherung der landärztlichen Versorgung bezweckt. Die Kollegen der internistischen Intensivstation oder des Palliative Care Teams freuen sich sicherlich über die wohlwollenden Worte in ihre Richtung.

Besonders interessant fanden wir die Formulierung, dass “klinische Studien patientenorientiert, effizient und den methodischen Standards entsprechend durchgeführt werden können”. Die ethische Komponente klinischer Forschung an der täglichen „Laufkundschaft“ wurden von der “patientenorientierten” Organisation des Masterplans wohl leider vergessen.

Die ursprüngliche Forderung nach einem Pflichtabschnitt Allgemeinmedizin im PJ konnte, trotz massiver Lobbyarbeit der DEGAM, im speziellen Professor Gerlachs, keine Mehrheit auf sich vereinen. In der aktuellen Regelung sehen wir allerdings ein Pflichtabschnitt “durch die Hintertür”, da man Prüfungsnachteile in der M3 Prüfung in Kauf nehmen muss, wenn man nicht “freiwillig” Allgemeinmedizin als ambulanten Abschnitt wählt. Die Politik stellt sich hiermit bewusst gegen die Empfehlungen des Wissenschaftsrates. (S.43)

Der dritte Abschnitt des Medizinstudiums, das Praktische Jahr, ist in der Beschlussvorlage nur in einem Satz erwähnt, hier wird eine kryptische Verbesserung der Arbeits- und Lernbedingungen angesprochen, unter der wir uns alles und nichts vorstellen können. Ob es hier um Studientage, einheitliche, faire Bezahlung, Krankentage oder strukturierte Ausbildung geht, bleibt (wie vieles in diesem Plan) offen.

Trotz zusätzlicher Verpflichtungen und Einschränkungen im Wahlangebot, konnte man sich nicht einmal zur definitiven Abschaffung der Pflichtfamulatur Allgemeinmedizin durchringen. <19>

Eine Einrichtung eines Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an jeder Universität begrüßen wir sehr, ohne diese ist keine qualitativ hochwertige Lehre möglich. Wir sehen dies als adäquates Instrument die Allgemeinmedizin an die Universitätsstandorte und in die Curricula zu integrieren. Ob diese Lehre wissenschaftlich qualifiziert angeboten werden kann, bleibt bei gängigen hausärztlichen Praktiken wie Sinupret, Akupunktur und Globuli, offen.

4. Praxisnahe Prüfungen

Das Physikum wird als schriftliche Prüfung nach vier Semestern zurückkehren und durch einen mündliche-praktischen Teil nach sechs Semstern ergänzt, letzterer kann, aber muss nicht als OSCE stattfinden.

Die M2 Prüfung soll in Zukunft teilweise elektronisch durchgeführt werden und neue Prüfungsformate ermöglichen. Die praktische M3 Prüfung soll stärker standardisiert werden, mittels Checklisten und teilweisem OSCE Format, welches vom IMPP vorgegeben wird, beinhalten. Weitere OSCEs sollen im klinischen Abschnitt für praktische Fähigkeiten etabliert werden.

Kommentar der Fachschaft zu diesen Maßnahmen

Die Umsetzung des zweigeteilten Physikums bleibt völlig offen, beispielsweise wie viele klinische Inhalte schon im schriftlichen Teil geprüft werden und was in Semester fünf und sechs passieren wird. Eine Entzerrung des ersten Staatsexamens könnte das Lernen nachhaltiger gestalten.

Wir begrüßen den Einzug moderner Medien beim IMPP.
Standardisierung in Prüfungsmodalitäten finden wir wichtig, aber wir durften alle schon Erfahrungen mit OSCE Prüfungen machen…

5. Zulassung zum Studium

Das Auswahlverfahren soll außer der Abiturnote mindestens zwei weitere Auswahlkriterien beinhalten. Besondere Berücksichtigung sollen Ausbildung und Studium in medizinnahen Berufen, soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie “Leistungsbereitschaft” einbeziehen. Studierfähigkeitstests und Auswahlgespräche sollen auch gewertet werden. Es wird angesprochen, dass ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich Wartezeit und Gleichstellung von Ausbildungs- und Studienzeiten noch vollkommen offen steht.

Kommentar der Fachschaft zu diesen Maßnahmen

Die “besondere Motivation”, welche man bspw. durch “ehrenamtliches Engagement in einem medizinnahen Bereich” zeigen kann, ist schwierig zu bewerten. Zugang zu ehrenamtlichen Strukturen ist innerhalb des sozialen Gefüges unterschiedlich verteilt und der Nachweis wird hier nicht standardisiert gefordert. Wir befürchten, dass viele Bewerber ihren Lebenslauf “tunen” um auf dem Papier “sozialer” zu erscheinen, dieses Engagement im Studium jedoch nicht fortsetzen. Die Definition des Wortes “medizinnah” wird auch nicht getätigt und bleibt damit momentan im Ermessen des Lesers. Unklar bleibt auch, wieso das Auswahlverfahren der Hochschule mit 60% angesprochen wird, die Abiturbestenquote mit 20% jedoch unangetastet bleibt. Falls mehrere Universitäten Auswahlgespräche anbieten, muss Bewerbern aus finanzschwachen Umfeldern auch eine Möglichkeit gegeben werden, diese Gespräche wahrzunehmen. Der vorliegende Masterplan erwähnt dies jedoch mit keinem Wort.

6. Mehr Nachwuchs für eine flächendeckende hausärztliche Versorgung

Immer mehr Landarztpraxen schließen aufgrund von fehlendem Nachwuchs. Dieses Problem soll dadurch angegangen werden, dass Medizinstudierende immer wieder mit ärztlicher Tätigkeit im ländlichen Raum konfrontiert werden sollen. Medizinstudierende aus ländlichen Regionen haben eine höhere Bereitschaft, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Den Ländern wird die Möglichkeit gegeben, bis zu 10% aller Studienplätze vor der eigentlichen Vergabe an Bewerber zu vergeben, welche sich verpflichten, nach Studium und Facharztweiterbildung in der Allgemeinmedizin bis zu 10 Jahre in ländlichen Regionen zu praktizieren. Vorab findet ein Test zur Feststellung von “Eignung und Motivation zur hausärztlichen Tätigkeit” statt. Diese Verträge werden durch “wirksame Sanktionen” abgesichert. Allgemeinmedizinische Lehrpraxen sollen einer “angemessenen regionalen Verteilung” nach rekrutiert werden, das Gleiche gilt für Lehrkrankenhäuser. Fahrtkosten u.ä. werden vielleicht durch Strukturfonds übernommen, diese sind jedoch noch nicht geschaffen und werden aktuell noch gesucht.
Ob und wie stark die „Landarztquote“ eingeführt wird, bleibt in Veranwortung der Länder.

Kommentar der Fachschaft zu diesen Maßnahmen

Uns ist vollkommen schleierhaft, wie strukturelle Probleme ländlicher Regionen auf bildungspolitischen Weg gelöst werden sollen. Der Masterplan hat (auch bei optimalem Eintritt der gewünschten Wirkung) eine verzögerte Auswirkung auf die ländlichen Regionen, während strukturelle Interventionen relativ zeitnah schon Besserungen der Situation versprechen würden. Die Betrachtung des Landarztmangels erfolgt hier aber nur monokausal und wird mit nur einem Lösungsvorschlag abgehakt.

Der Beruf des Arztes ist ein typischer Akademikerberuf. Deshalb sind auch bei Ärzten typische soziologische Merkmale des Akademikers zu beobachten: Funktionale Urbanisierung ist ein Mix aus verschiedensten Faktoren, in denen die Berührung mit dem Landarztleben nur eine geringe bildet. Strukturell schwache (ländliche) Regionen sind für Mediziner aufgrund ihrer strukturellen Schwäche unattraktiv (wenig kulturellen Angebote, keine ausreichende Möglichkeit für regionale Schulbildung, große Entfernung zu intellektuellen Austauschforen, hohe Anforderung an die eigene Motorisierung, fehlende Kinderbetreuung u.v.m.), diese Faktoren werden in der Argumentationskette des Masterplans außen vor gelassen.

Von mittlerweile 17-jährigen G8 Abiturienten eine solche Weitsicht über ihre bis ins Detail vorgegebene Berufskarriere der nächsten 15-20 Jahre zu erwarten, halten wir für sehr gewagt.
Bei den wirksamen Sanktionen ist höchstwahrscheinlich mit einem niedrigen sechsstelligen Betrag als Vertragsstrafe zu rechnen, was die Frage aufwirft, ob sog. Studienflüchtlinge dies nicht als Gelegenheit sehen könnten, mit einer geeigneten Investition doch in der Heimat zu studieren (“Papa zahlt.”). Wir befürchten hier eine soziale Ungerechtigkeit zwischen einkommensstarken und -schwachen Schichten bei der Zulassung zum Wunschstudium Medizin.

Die Einrichtung von Lehrpraxen und -krankenhäusen gemäß einer angemessenen regionalen Verteilung ist sehr schwammig formuliert, wir wissen leider nicht genau, was damit gemeint ist. Denkbar wäre, dass regionale Partner in Ballungszentren zugunsten von Partnern in sehr weit entfernten verlassen werden, um eine angemessene Verteilung nach Geschmack des Masterplans zu treffen. Gerade für die Studierenden in ganz NRW wären dies nicht tragbare Distanzen. Bisherige Ausnahmen, wie der Fall einer Kommilitonin, die 130km zur Ableistung ihres Patientenpraktikums fahren und in einer Jugendherberge schlafen musste, werden dann zur Regel werden. Über das Problem der Unterkunft und Fahrtkosten macht man sich Gedanken, strukturschwache ländliche Regionen können aber weder mit angemessener Unterkunft noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufwarten. Teilnahme am Studium kann hier also wiederum von finanzschwachen, unmotorisierten Studierenden schlechter geleistet werden. Die Ruhr-Uni Bochum hat in den vergangenen Jahren ein Pilotprojekt etabliert, in dem 60 Studierende die letzten zwei Jahre ihrer klinischen Ausbildung komplett in Minden verbingen (LINK: http://www.fsmed.ruhr-uni-bochum.de/studium/owl/index.html ). Diese und die vom Masterplan vorgeschlagenen Änderungen gehen an der Realität der Studierenden vorbei, da viele Studierende neben ihrem Studium auch auf Nebenjobs o.ä. angewiesen sind.

Gewisse Formulierungen bleiben uns bis jetzt unklar: “Gerade in den ländlichen Regionen betreut eine Hausärztin bzw. ein Hausarzt nicht selten die Familien über Generationen hinweg und kennt ihre bzw. seine Patientinnen und Patienten von Kindesbeinen an. Es ist daher eine gemeinsame Aufgabe mehr Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums für eine ärztliche Tätigkeit auf dem Land zu gewinnen.” In einer Klausur wäre diese Aussage als “Satz 1 stimmt, Satz 2 fraglich, Verbindung nicht logisch” anzukreuzen.

Insgesamt wirkt die Zusammenstellung sehr schwammig. Sehr oft wird von gewonnener Erfahrung und Expertenmeinungen geredet, ohne diese dezidiert anzugeben. Dies wäre nach Vorgabe für AWMF-Leitlinien wohl nur eine S1-Leitlinie statt ein richtiger Masterplan geworden. Auch sollte man die Person von Prof. Gerlach kritisch beleuchten, der sowohl zu dem Thema der Förderung der Allgemeinmedizin forscht, sich sehr aktiv für diese einsetzt und auch Mitverfasser des Masterplans zu sein scheint. Hier ist dann wohl der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen.

 

2020 – Gilt das schon für mich?

Das kann dir niemand so richtig beantworten. Der Masterplan gibt im Moment keine wirklich genauen Angaben, wann die vorgeschlagenen Änderungen in die Tat umgesetzt werden sollen. Da die Finanzierung auch noch vollkommen offen ist (Strukturfonds zur Unterstützung von Studierenden, Schaffung von Lehrstühlen in der Allgemeinmedizin, Aufbau weiterer Auswahlkriterien bei der Studienplatzvergabe), können wir noch hoffen, dass es sich noch etwas ziehen wird. Ob die Änderungen dann alle auf einmal oder gestaffelt (z.B. für Erstis 2020) eintreten, kann auch niemand sagen.

Hatten wir Studierende Einfluss?

Nein, so gut wie gar nicht. Studierende aus verschiedenen Organisationen (bvmd, Sprecherrat der Medizinstudierenden im Marburger Bund, Ausschuss Medizinstudierende im Hartmannbund) haben seit Jahren für mehr Einfluss gekämpft. Oft wurden studentische Vertreter zu offiziellen Gesprächen eingeladen, es gab Stellungnahmen, Protestaktionen, offene Briefe, Radiointerviews, Auftritte in Landes- und Bundesärztekammern. Letztendlich muss man sagen, dass wir Studierende zwar bei Ärzten in den Ärztekammern Gehör (und größtenteils Zustimmung!) fanden, aber nicht in den entscheidenden Stellen wie den Ministerien oder der Kultusministerkonferenz der Länder. Letzendlich bleibt das Studium als Bildung nachwievor Ländersache.

Aktuell kämpfen wir dafür, in einem Expertengremium, das den Masterplan weiter umsetzt, einen studentischen Sitz zu erhalten.

Was hat die Fachschaft Medizin an der HHU in den letzten Jahren bewirkt?

Unsere Vertreter haben sich bereits seit Jahren in den Arbeitsgruppen der bvmd (AG medizinische Ausbildung) oder in den anderen Gremien wie dem Marburger Bund Sprecherrat eingesetzt.

Am 18. Mai 2016 beteiligte sich unsere Fachschaft am Aktionstag #RichtigGuteÄrzteWerden von bvmd und dem Ausschuss Medizinstudierende im Hartmannbund, um gegen bisher durchgesickerte Maßnahmen zu protestieren.
Parallel dazu haben wir in der 4. Ausgabe unseres Fachschaftsmagazins „Extrasystole“ einen Hintergrundartikel zum Masterplan (S.8) veröffentlicht.

Im Dezember 2016 haben wir uns mit Fachschaften aus ganz NRW in der O.A.S.E getroffen, um uns auf Länderebene zu vernetzen und weiteren politischen Druck auf Länderebene auszuüben.
In einen weiteren Aktionstag haben wir NRW-weit für die bvmd Petition zum studentischen Sitz im Expertengremium geworben.
Zusätzlich haben wir eine gemeinsame Stellungnahme als offenen Brief an die zuständigen Landesministerien übergeben. Diesen Brief haben wir zur Kenntnisnahme auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe über sein Neusser Abgeordnetenbüro zukommen lassen.

 

Max, Raphael & Melissa